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Story 029 – 1820 – Geschäftsmodell Prozesse Nachhaltigkeit

„Festgemauert in der Erden …“

Kleine Geschichte einer großen Kunst: das Glockengießen

Das Glockengießen hat eine lange Tradition, Kirchenglocken werden in Europa seit über 1000 Jahren aus Bronze gegossen. Ein Verfahren, das noch heute viel Handarbeit, viel Präzision und vor allem Erfahrung erfordert. Und das eine einzigartige Kombination aus Kunst und Handwerk darstellt.

Von Beruf ist Philipp Jakob Wieland Kunst- und Glockengießer, seinen eigenen Betrieb startet er mit der Übernahme der Glockengießerei seines Onkels. Auch wenn Glocken im Laufe der Zeit immer weniger Raum im Produktportfolio des Unternehmens einnehmen, lohnt doch ein Blick auf eine faszinierende Kulturtechnik, in der Kunst und Handwerk, Materialkunde und Musikalität, penible Genauigkeit und schwere körperliche Arbeit eine wohl einmalige Symbiose eingehen. Zumal das Gelingen des Glockengusses nicht nur von höherem Segen abhängt – wie es Schiller in seinem berühmten Gedicht nahelegt – sondern ganz wesentlich von der Erfahrung und dem Können des Glockengießers.

Die ersten Glocken werden im China zur Zeit der Shang-Dynastie ab etwa 1600 vor Christus im Schmiedeverfahren hergestellt. Auf gleiche Weise entstehen in Europa im Frühmittelalter ab dem 6. nachchristlichen Jahrhundert vernietete Glocken aus Eisenblech – die freilich schnell unter Korrosion zu leiden haben. Diesen Missstand überwindet ab dem 9. Jahrhundert eine neue Technik: der Bronzeguss von Glocken vermittels einer aufwendig hergestellten Gussform. Verwendet wird meist eine Zinnbronze, die aus 76 bis 80 Prozent Kupfer und 20 – 24 Prozent Zinn besteht und seit dem Mittelalter „Glockenspeise“ genannt wird.

An dem Verfahren hat sich bis heute nicht viel geändert: Mit einer Schablone wird ein Gusskern – meist aus Lehm, seltener aus Sand oder Zement – geformt, darüber aus weicherem Material die sogenannte „falsche Glocke“, deren äußere Kontur wiederum mit einer Schablone gestaltet wird. Später wird die äußere Form angefertigt, die nach dem Austrocknen abgehoben wird und so das Zerstören der „falschen Glocke“ erlaubt. Nach dem Wiederaufsetzen der äußeren Form kann der so entstandene Hohlraum mit Bronze ausgegossen werden – ein Vorgang, der viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordert.
Ebenso wie die Klanggebung der Glocke: Form, Größe und Dicke haben darauf genauso Einfluss wie die verwendete Legierung. Soll die Glocke einen ganz bestimmten Ton erzeugen, sind komplizierte Berechnungen erforderlich. Eine Wissenschaft, auf die sich Philipp Jakob Wieland besonders gut versteht.

Und deshalb fertigt sein Betrieb zwischen 1820 und den 1930er-Jahren nicht weniger als 112 Glocken, zwei davon existieren noch heute: Eine steht im Foyer der Wieland-Werke AG in Ulm, die andere hängt in der Kirche von Machtolsheim.

Glocke 1835

1835 gießt Wieland diese Glocke für die Pfarrkirche Neenstetten – trotz zunehmender Industrialisierung seines Betriebes in traditioneller handwerklicher Manier.

Datenblatt Glocke 1820

Datenblatt der mutmaßlich ersten Glocke von P. J. Wieland, gegossen 1820 als „Friedensglocke“ und mit 651 Kilogramm nicht nur aus historischen Gründen ein Schwergewicht.

Glocke Konstruktionszeichnung

Die undatierte Konstruktionszeichnung zeigt, wieviel Können und Wissen dazugehörte, Glocken einen ganz bestimmten Klang zu entlocken.